Vorwort - Acta Vol. 7

Aus dem Vorwort

Der 300. Todestag Erhard Weigels war Anlaß zu einem eintägigen Kolloquium in Jena am 20. März 1999. Dabei sollte nicht nur eines Mannes, der auf seine Weise der Jenaer Universität zu einem großen Aufschwung verhalf, gedacht, sondern vielmehr versucht werden, jene Zeit, die Biographie und die Wirkungen Weigels durch Darlegung neuer Arbeiten zu erhellen. Die Beiträge der Tagung bilden den Inhalt dieses Bandes.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt der 30jährige Krieg hinter uns, nach dem Zeitalter der Glaubensspaltung durch die Reformation ist durch den Westfälischen Friedensschluß der Augsburger Religionsfrieden von 1555 bestätigt. Die kaiserlichen Rechte werden an die Zustimmung des Reichstages gebunden, und die Reichsstände erhalten volle Souveränität. Die "fürstliche Libertät" siegt über die kaiserliche Zentralgewalt in Deutschland, und das Reich löst sich in einen Staatenbund auf. In Europa vollendet sich der Absolutismus feierlich unter goldenen Kuppeln (Golo Mann), und Voltaire spricht von den Jahren 1661 bis 1715 schlicht vom "Jahrhundert Ludwig XIV".

In diesen letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, die wir im Deutschen Zeitalter der Vernunft oder der Frühaufklärung nennen, fand die "Große Schlacht der Ideen" statt, wie sie Paul Hazard beschrieb, die die Grundlage für die Aufklärung bildet und schließlich für die großen politischen Revolutionen.

Denn unter den goldenen Kuppeln war Bewegung: Der Suche nach einer vernünftigen Methode des Erkennens der Welt, frei von scholastischem Denken und von religiöser oder kirchlicher Dogmatik, hatten Francis Bacon, John Locke, René Descartes, Baruch Spinoza und schließlich Gottfried Wilhelm Leibniz den Weg geebnet.

Galileo Galilei hat mit seiner Forderung, das "Buch der Natur mit Hilfe der Mathematik" zu lesen, die klassische Physik eingeleitet, seinem Fallgesetz folgte Johannes Kepler mit den Planetengesetzen und später Isaac Newton, der durch das Gravitationsgesetz die mathematische Erklärung dafür gab.

Mit der Nutzung des Fernrohrs zur Beobachtung astronomischer Objekte nach 1610 eröffnete sich im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Sichtweise, und mit der Einrichtung des Observatoire de Paris (1670) und des Royal Astronomical Observatory Greenwich (1675) entstanden die ersten eigenständigen astronomischen Institute. Als Gelehrtengesellschaften waren schon 1635 die "Académie Française" in Paris, 1652 die "Academia Leopoldina naturae curiosorum" in Schweinfurt und zehn Jahre später die "Royal Society" in London gegründet worden.

Verengen wir unseren Blick auf Jena, so finden wir hier nach dem 30jährigen Krieg, der, wie der Chronist Herbert Koch schreibt, ohne größere Blessuren überstanden war, eine Universität, an der der Theologe Johannes Musäus, der Jurist Georg Adam Struve, der Mediziner Werner Rolfinck, der Historiker Johann Andreas Bose und nicht zuletzt der Mathematiker Erhard Weigel wirkten und sie zu einem wissenschaftlichen Höhepunkt führten. "Ihr Aufstieg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stand vornehmlich im Zeichen der Leuchtkraft der überragenden Gelehrtenpersönlichkeit Erhard Weigels," lesen wir in der Jenaer Universitätsgeschichte. Die Verdoppelung der Studentenzahlen in Jena ist auch Ausdruck der Ausstrahlungskraft der Jenaer Universität zur damaligen Zeit (und kann vielleicht mit dem letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts verglichen werden).

Weigels vielfältiges Wirken wird in den Beiträgen dieses Bandes gewürdigt. Freilich gibt es keine Weigelsche Formel und kein Weigelsches Gesetz, aber die schillernde Persönlichkeit wirkte weit über Jena hinaus. Insbesondere seine pädagogischen Bestrebungen, seine Bemühungen um die Förderung der Wissenschaft, des Gewerbes, der Künste und Erfindungen als Vorleistung für Leibniz' Plan der Akademiegründung und sein beharrlicher Einsatz für die Kalenderreform sichern ihm einen Platz in der Wissenschaftsgeschichte.

Wir teilen die Meinung Georg Christoph Lichtenbergs nicht, wenn er glaubt, "man treibt in unsern Tagen die Geschichte der Wissenschaft zu minutiös, zum großen Nachteil der Wissenschaft selbst", sondern meinen, daß wir im Schillerschen Sinne der moralischen Verpflichtung folgen und eine Schuld an das kommende Geschlecht entrichten, die wir dem vergangenen nicht mehr abtragen können.

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Jena, im April 1999

Reinhard E. Schielicke